
Die Sudetendeutsche Sozialdemokratie hat sich redlich bemüht, durch einen inneren Ausgleich Wälle zu errichten gegen die Fluten, die mit dem Machtantritt Hitlers über Deutschland, Europa und die Welt hereinbrachen. Die Kräfte der Auflösung und Zerstörung waren jedoch stärker als der gute Wille zu friedlicher Gestaltung. Wir wissen, welch schreckliche Auswirkungen die Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren für ein von Export so abhängiges und auf die Schwankungen empfindlich reagierendes hochindustrialisiertes Gebiet wie das Sudetenland hatte. Auf dem Höhepunkt der Krise gab es in Deutschland über sechs Millionen Arbeitslose. Im Sudetengebiet war die Arbeitslosigkeit sogar noch drückender. Viele Jahre hindurch zählten sudetendeutsche Gewerkschaften mehr arbeitslose als in Beschäftigung stehende Mitglieder. Ihre Familien lebten von einer kümmerlichen Unterstützung. In dieser düsteren Lage hatte die Sudetendeutsche Sozialdemokratie einen sie aufreibenden und zermürbenden Zweifrontenkampf zu führen. Einerseits galt es, den Auswüchsen des tschechischen Nationalismus zu begegnen, andererseits die Sudetendemokratie vor dem Ansturm des Dritten Reiches zu schützen. … Die Sudetendeutsche Sozialdemokratie, und das gereicht ihr zur besonderen Ehre, zählte zu den Warnern und Mahnern. Sie bekannte sich in den dunkelsten Stunden zu Werten und Idealen und die Quelle ihrer Kraft. Sie bewies ihre Verbundenheit mit Verfolgten und Unterdrückten, als es schon recht gefährlich war, Solidarität zu üben.
Aus: Willy Brandt – „Gerechtigkeit auch für die Sudetendeutschen“ im Sudetenjahrbuch 1966, S.20 ff

